Es braucht Angebote, die echte Selbstwirksamkeit vermitteln.
Warum wurde die Jugend entscheidet-Akademie gegründet, und was findet dort statt?
In den vergangenen zwei Jahren haben wir Jugend entscheidet in 25 Kommunen durchgeführt, über 50 Ratsbeschlüsse wurden gefasst, die aus den Ideen der Jugendlichen entstanden sind. Und alle Kommunen wollen ihre Jugend weiter einbinden. Das ist ein Erfolg, aber wir haben uns gefragt, wie wir noch mehr Kommunen erreichen können. Also haben wir die Jugend entscheidet-Akademie gegründet, weil dort deutlich mehr Kommunen teilnehmen und profitieren können. Bürgermeister, Verwaltungsmitarbeiter und unsere Experten werden gemeinsam an den individuellen Projekten arbeiten, um die Jugendbeteiligung in den Kommunen möglich zu machen, also echte Entscheidungen an Jugendliche abzugeben.
Was erwartet die Teilnehmer des Jugend entscheidet-Bundesforums?
Das Bundesforum, das vom 27. bis 29. September in Berlin stattfindet, und zu dem mehr als 100 Teilnehmende erwartet werden. Wir wollen dort eine Bestandsanalyse machen. Welche Projekte beschäftigen die Kommunen, wie können wir sie voranbringen? Zudem wird es Experten-Input zu Fragen geben wie: Wie sollte man die Projekt-Finanzierung aufsetzen? Wie sollte das kommunale Team aufgestellt sein, das Jugend entscheidet vor Ort umsetzt? Zugleich wollen wir ein politisches Schlaglicht auf Jugendbeteiligung werfen. Es werden Politikerinnen und Politiker vor Ort sein, z.B. Johannes Vogel und Ricarda Lang, aber auch Jugendforscher wie Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, also renommierte Experten, mit denen wir das Thema Jugendbeteiligung auf Bundesebene voranbringen wollen.
Welche Knackpunkte und Herausforderungen gibt es für die Kommunen?
Jugend entscheidet ist zeitlich ein anspruchsvolles Projekt, das bis zu anderthalb Jahre dauert, und die Kommunen damit vor Herausforderungen stellt. Deshalb ist es wichtig, ein gutes kommunales Team zu bilden, das aus Verwaltung, der Politik und der Jugendarbeit besteht. Sobald ein Teil fehlt, wird es schwieriger. Das gleiche gilt für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Hier braucht es eine Verwaltungsspitze, die hinter dem Projekt steht und es maßgeblich mit vorantreibt. Es ist außerdem wichtig, dass klare Kommunikation zu den Mitsprachemöglichkeiten herrscht. Es gibt nichts schlimmeres als Scheinbeteiligung. Man muss darauf achten, dass den Jugendlichen zu jedem Zeitpunkt ganz genau gesagt wird, was ihr tatsächlicher Einfluss ist. Und zuletzt: Anfangen! Man muss einfach starten, auch wenn noch Unsicherheiten bestehen. Dabei hilft auch der Blick von außen, also jemand, der sagt: „Machen Sie einfach, wie Sie es sich gedacht haben“. Diese Rolle übernehmen bei uns erfahrene Prozessbegleiter, mit denen sich die Kommunen jeden Monat austauschen können.
Wie kann es Kommunen gelingen, die Jugendlichen für Teilhabe oder sogar Politik zu begeistern?
Das kommunale Team und die Jugendlichen sollten eine gemeinsame Sprache sprechen, damit sie sich austauschen und verstehen können. Das bedeutet auch, schwierige Sprache zu vermeiden. Außerdem hilft es, sich in die Jugendlichen hineinzuversetzen: „Wie war das eigentlich, als ich jung war? Wie möchte ich angesprochen werden?“. Und es braucht Angebote, die echte Selbstwirksamkeit vermitteln, so dass sie merken: „Ich habe mitbestimmt, dass um die Ecke ein Aufforstungsprojekt entsteht oder weiß, warum es nicht geklappt hat“. Den Kick zu bekommen „Hier war ich beteiligt!“, darauf kommt es an.
Wichtig ist auch: Kommunen sollten auf die Besonderheiten von jugendlichem Engagement Rücksicht nehmen und nicht versuchen die Formate der Erwachsenen auf die jungen Leute zu übertragen. Vielleicht passt das Jugendparlament gar nicht so gut auf die Jugendlichen vor Ort, sondern eher „Pizza und Politik“ oder ein konkretes Projekt. Zudem kommt es darauf an, Jugendbeteiligung als Querschnittaufgabe wahrzunehmen. Letzter Punkt: All das Erwähnte funktioniert nur mit genügend Zeit und Geld. Um Jugendliche erfolgreich für Teilhabeprozesse einzuplanen, müssen die Kommunen Ressourcen dafür freimachen
Warum ist die Jugendbeteiligung für Kommunen gerade jetzt besonders wichtig?
Die Frage hat mehrere Facetten: Die Jugendlichen sind die Zukunft der Demokratie und wollen sich auch engagieren, aber machen es oft nicht: Die Wahlbeteiligung der unter 30-Jährigen liegt teilweise unter 30 Prozent. Wir glauben aber, dass man Demokratie üben kann, wenn die richtigen Angebote da sind, um echte Wirksamkeitserfahrungen zu machen. Da sollten die Kommunen jetzt dringend etwas tun, sonst bleiben die jungen Wähler und Wählerinnen weg.
Gleichzeitig profitieren die Kommunen: Die Jugendlichen bringen einen ganz besonderen Blick mit. Sie sind auf der Straße unterwegs und sehen, was Menschen vor Ort brauchen. Sie kommen mit Lösungen um die Ecke, an die man vielleicht nicht gedacht hat.
Zudem gibt es gerade im ländlichen Raum ein großes Demografie-Problem. In den kommunalen Räten liegt der Altersschnitt teils bei 60 Jahren und mehr. Da wird es Probleme geben, wenn keine jungen Politiker und Politikerinnen nachkommen. Wir setzen darauf, dass Jugendliche, die vor Ort politisch verwurzelt sind, und merken, dass sie in der Kommune etwas bewirken können, seltener ihre Gemeinden verlassen. Und zuletzt heißt mit jungen Menschen zu arbeiten, relativ schnell zu sein. Jugendliche können nicht drei Jahre warten, bis etwas umgesetzt ist. Mit unserem Konzept des kommunalen Teams schaffen wir Strukturen, die quer zu den Silos in der Verwaltung liegen. Das kommt auch der Transformation in Richtung Digitalisierung und Modernisierung zugute.
INFO Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung